Die Great Plains – Das Leben in der Prärie

Die großen Plains sind das wahre Herzland Nordamerikas. Ein Land der Sonne, des Windes, des Grases, erstrecken sich die Plains in nordsüdlicher Richtung mehr als 3.000 Kilometer weit vom North Saskatchewan River in Kanada nahezu bis zum Rio Grande in Mexiko, ein Gebiet, dessen östliche und westliche Begrenzung in etwa durch das Mississippi-Missouri-Tal und die Vorberge der Rocky Mountains gegeben ist – alles in allem eine Fläche von zweieinhalb Millionen Quadratkilometern. Im 18. und 19. Jahrhundert, zur Zeit des ersten Kontakts mit Europäern, herrschte in den Plains Algonkin- und Sioux-Sprachgruppen vor, obgleich auch Athapasken und Uto-Azteken vertreten waren. In den nördlichen Plains dominierten Algonkin-Gruppen, in den zentralen Plains Sioux-Sprecher. Auf den südlichen Plains hingegen waren beide Sprachgruppen kaum vertreten, auch wenn Cheyenne und Arapaho mit den in der Region vorherrschenden Kiowa und Comanche starke militärische Bündnisse eingingen. Die Bevölkerungsdichte war relativ gering; so schätzte man 1870 die Blackfeet (oder Blackfoot), eine der größten Gruppen in den nördl. Plains, auf 15.000, die Lakota auf 10.000 und die Cheyenne auf 3.500, während halbseßhafte Stämme wie die Omaha, Mandan und Arikara am Missouri allesamt auf weniger als 4.000 geschätzt wurden. Das Klima auf den Plains ist nicht einheitlich. Aufgrund begrenzter Niederschläge überwiegt vor allem im Westen und Süden ein halbwüstenartiges Terrain, und gebietsweise bringen die Verhältnisse dort sogenannte badlands hervor (vegetations- und wasserarme Ödnisse, durch auffällige Hügel- und Felsformationen gekennzeichnet). Der Osten jedoch, das Mississippi-Missouri-Tal, ist eine feuchte Zone, hier fällt mehr Regen, und die Prärien sind grün. Das Gras wächst höher und üppiger, wohingegen es weiter westlich, im Gebiet etwa der heutigen Bundesstaaten North und South Dakota, Nebraska uns Kansa, kürzer wird; dieses „Büffelgras“ ist für viele Tiere in den Plains eine lebenswichtige Nahrungsquelle.

Die frühen unberittenen Menschen der Plains jagten den Bison auf ähnliche Weise wie die Antilope, indem sie die Tiere in Panik versetzten und die in wilder Flucht davonstürzenden Herden in eine V-Form zwangen und vor sich hertrieben, bis sie über den Rand einer Klippe stürzten. Von den Blackfeet Estipah-Siki-kini-Kots (Wo-ihm-der-Schädel-eingeschlagen-wird) genannt, war dies auch ein zeremoniell und rituell bedeutsamer Ort, an dem sich die Praxis der Büffeljagd mit Gebeten an die höheren Mächte verband, wo die Geister der Berge und der Winde und des Raben beschworen wurden, der den Blackfeet als weisester aller Vögel galt. An solchen Stellen wurden alljährlich Tausende von Büffeln getötet, oft so viele auf einmal, daß es unmöglich war, die gewaltigen Frischfleischmengen zu verbrauchen. Obwohl ein Gutteil des Fleisches getrocknet und für den Winter zu Pemmikan (Dörrfleisch) verarbeitet wurde, während die Häute als Zeltdecken für die Tipis dienten, war Vergeudung nicht zu vermeiden.

Wer die pferdelosen Plains-Bewohner waren, wird Mutmaßung bleiben. es steht jedoch mit ziemlicher Sicherheit fest, daß die Stämme wie die Kutenai, Flathhead und vor allem die Shoshoni die Plains-Region üblicherweise zu Fuß aufsuchten, um dort auf Jagd zu gehen. Auch gibt es archäologische Hinweise darauf, daß einige Gruppen ihren Lebensraum möglicherweise über Jahrtausende hin unverändert am Westrand der Plains behaupteten. Doch erst nach der Einführung des Pferdes aus dem Süden und der Feuerwaffen aus dem Osten erreicht die historische Plains-Kultur ihre volle Blüte. Und während das Pferd größere Beweglichkeit gestattete und die allgemeine Lebensqualität verbesserte -die Alten wurden nicht länger zurückgelassen, größere Tipis konnten gebaut und mehr Güter und Nahrungsmittel transportiert werden -, setze das Gewehr beispielsweise die unberittenen Blackfeet und Cree in die Lage, es mit den berittenen Shoshoni aufzunehmen und sie schließlich aus dem Plains-Gebiet zu verdrängen. Solchem Druck ausgesetzt, zogen sich die Shoshoni allmählich aus den nördlichen Plains zurück, ein Vorgang, der sich beschleunigte, als die Blackfeet, Assiniboin und Cree, der Ausweitung des Pelzhandels folgend, immer mehr Feuerwaffen erwarben und ihre Kampftaktik entsprechend umstellten; nun überfielen sie die Shoshoni, um ihnen die Pferde zu rauben. Dagegen konnten die Shoshoni von den Spaniern in New Mexico zwar Kleidungsstücke, Eisenkessel, metallenes Zaumzeug, Steigbügel und Maultiere einhandeln; dagegen verbot es die spanische Politik, Feuerwaffen an Indianer zu verkaufen. Zwar war der zeitliche Ablauf und auch der ausgeübte Druck ein anderer, ansonsten jedoch liefen auch in den mittleren und südlichen Plains ganz ähnliche Prozesse ab. Auf diese Weise drangen Algonkin und Athapaskisch sprechende Gruppen aus dem Norden und Osten – die Blackfeet-Konföderation, die Cree, Arapaho, Cheyenne, Sarcee (Sarsi) und Kiowa-Apache – in das riesige Gebiet vor, und aus dem Osten und südosten die Sioux-Stämme, Die Nakota, Lakota und Dakota, die Crow, Hidatsa und Mandan, während die Pawnee, Arikara, Comanche und Kiowa aus westlicher wie südöstlicher Richtung kamen. Sie brachten eine kulturelle Vielfalt in die Plains, woraus sich bis etwa 1800 aufgrund der neuen Umwelteinflüsse ein einheitlicher Lebensstil entwickelte, den Krieg und Handel umwälzten und verstärkten, in dem sich aber die kulturelle Wesensart der einzelnen Stämme meist weitgehend erhielt.

Von altersher bestand auf den Plains ein umfassendes Netz von Handelsbeziehungen zwischen den Stämmen. Zwar gab es für Stämme mit ähnlicher Lebensweise wenig Handelsanreize, doch erwies sich der Handel zwischen Jägern und Bauern für beide Seiten als förderlich. Die nomadischen Stämme hatten getrocknetes Büffelfleisch und andere Produkte der Jagd wie gegerbte Hirsch- und Büffelhäute, zahlreiche Bekleidungs- und Schmuckartikel und Tipis aus Büffelhäuten (die von den in Dörfern ansässigen Stämmen auf Jagdausflügen verwendet wurden) anzubieten, und im Tausch dafür boten die Bauern Mais, Bohnen und Kürbisse. Nach der Einführung des Pferdes und europäischer Waren übernahmen Neuankömmlinge in den Plains wahrscheinlich die etablierten Handelsstrukturen der von ihnen vertriebenen unberittenen Nomaden und weiteten die Aktivitäten einfach aus. Zu den am besten dokumentierten Handelsbeziehungen zählen die der Cheyenne und Crow, und zwar der ersteren mit Missouristämmen – Mandan, Hidatsa und Arikara – und der letzteren vor allem mit den Hidatsa und Mandan. Solche Handelsunternehmungen müssen farbige und spektakuläre Angelegenheiten gewesen sein. so erlebte der Pelzhändler Charles Machenzie, der 1805 die Hidatsa-Dörfer aufsuchte, die Ankunft von mehr als 2.000 Krähenindianern mit, die sich auf einer Handelsexpedition befanden. Prächtig herausgeputzt schlugen sie in unmittelbarer Nachbarschaft der Erdhäuser der Hidatsa ein aus 300 Tipis bestehendes Zeltdorf auf. Der Tauschvorgang selbst erhielt den Charakter eines komplizierten Rituals. Nach dem Rauchen der Friedenspfeife breiteten die hidatsa vor den Crow ihre Tauschobjekte aus: 200 Gewehre mit jeweils 100 Schuß munition, 100 Scheffel Mais sowie große Mengen von Äxten Kleidungsstücken und Kesseln. Die Crow gaben ihrerseits 250 Pferde, eine große Anzahl von Bisonroben, Leggins und Hemden. Der Handel war für beide Seiten lukrativ. So verkauften die Crow ihre Pferde an die Dorfbewohner zum doppelten Preis verglichen mit dem, was sie beim Treffen mit den Shoshoni bezahlt hatten, und die Dorfstämme wiederum verdoppelten diesen Einkaufspreis beim Weiterverkauf der Pferde an die Assiniboin und Cree, die europäische Waren aus dem Nordosten mitbrachten. Rasch und sicher gelangten über dieses Netzwerk Gewehre von den Handelsposten der englischen Hudson Bay Company (im heutigen Manitoba und Ontario) vermittelt durch die Assiniboin und Cree zu den Hidatsa- und Mandan-Dörfern und wurden von den River und Mountain Crow weiter über die Plains bis zu den Shoshoni und Nz Percé gebracht, wo sie gegen Pferde, spanische Satteldecken und spanisches Zaumzeug eingetauscht wurden. Die Verbreitungsgrenze der Feuerwaffen schob sich daher nach Westen und Süden vor, während die des Pferdes sich schnell nach Norden und Osten bewegte.

Die ersten Begegnungen von Plains-Indianern mit Weißen verliefen im allgemeinen durchaus freundschaftlich, insbesondere in Kanada, doch das systematische Abschlachten von Bibern und Büffeln – ausgelöst durch die Nachfrage im Pelzgeschäft und den Zustrom weißer Auswanderer in und über die Plains nach 1840 – verursachte eine fortschreitende Verschlechterung in den Beziehungen zwischen Rot und Weiß. Zu einem früheren, unglückseligen Zusammentreffen kam es, als Meriwether Lewis, einer der beiden Anführer, auf einer Erkundungsreise zwei Piegan-Krieger tötete, was viele Jahre lang zu einem feindseligen Verhältnis zwischen Blackfeet und Amerikanern führte. Aufgrund der Politik der American Fur Company, die weiße Trapper ins Blackfeet-Gebiet schickte, anstatt sich wie die Hudson´s Bay Company „auf die Lieferung der Indianer“ zu verlassen, verschlimmerte sich die Lage zunehmend. Die Lukrativität des Fellhandels bedeutete den Anfang vom Ende für die Plains-Stämme, als die Nachfrage nach Büffelhäuten stieg. Ein englischer Augenzeuge, William Blackmore, der 1868 durch das Tal des Platte River reiste, berichtete von unermeßlich großen Büffelherden, die sich über hundert Meilen hinzogen. Die Plains waren „schwarz von ihnen“, und gelegentlich hielt der Zug, in dem er fuhr, um sie vorbeizulassen. Etwa fünf Jahre später, im Herbst 1873, sah er sich einer völlig veränderten Szenerie gegenüber: Das ganze Land war weiß von bleichenden Büffelknochen, und in einigen Gebieten „sah ich eine ununterbrochene Strecke verwesender Kadaver, deren Gestank wie ein Pesthauch in der Luft lag und auf das Unerträglichste widerwärtig war. Die berufsmäßigen Büffelabdecker waren in die Gegend gekommen.“ Spätere Nachforschungen Blackmores ergaben, daß bereits 1872 mindestens eine Million Büffel jährlich allein wegen ihrer Häute abgeschlachtet wurden. Die professionellen Jäger schlugen an den Ufern des Arkansas ein Lager neben dem anderen auf und schossen pausenlos Büffel, bei Tag und bei Nacht, die zum Trinken an den Fluß kamen.

Das rücksichtslose Gemetzel beunruhigte und entsetzte die Plains-Indianer. Von Sitting Bull ist folgende Stellungnahme überliefert: „Es ist seltsam, wenn die Amerikaner darüber jammern, daß die Indianer Büffel töten. Wir töten Büffel, wie wir andere Tiere töten, der Nahrung und der Kleidung wegen und um unsere Behausung warm zu halten. Sie töten Büffel – wofür? Geht durch (das) Land. Seht die Tausende von Kadavern, die auf den Plains verrotten. Euere jungen Männer schießen zum Vergnügen. Sie nehmen von einem toten Büffel allein den Schwanz oder Kopf oder etwa seine Hörner, nur um zu zeigen, daß sie einen Büffel getötet haben. Was ist das? Räuberei? Ihr nennt uns Wilde. Was sind dann sie?“ (New York Herald, 16. November 1877) Nicht nur die Plains-Stämme wurden ihrer Lebensgrundlagen beraubt, auch die Siedler, denen die Büffel stets den nötigen Fleischvorrat für den Winter lieferten, konnten sich, wie Blackmore betonte, nicht mehr auf ihr Erscheinen verlassen und wurden zu erbitterten Gegnern einer Büffeljagd allein um der Häute willen.

Zu dem Problem mit den Büffeln kam ein anderes hinzu – das der Auswanderertrecks nach Oregon. Um 1845 waren die typischen Planwagen bereits ein gewohnter Anblick. Der Oregon Trail begann im östlichen Kansas und folgte dann dem Platte River durch Nebraska bis nach Fort Laramie in Wyoming. Im westlichen Wyoming überschritt er die kontinentale Wasserscheide, folgte dem Snake River nach Idaho und dann nach Oregon und erreichte sein Ziel in The Dallas am Columbia River, der in den Pazifischen Ozean fließt. Streckenweise – in Nebraska und Wyoming – führte der Oregon Trail durch die Jagdgründe der Oglala, eines der größten und mächtigsten Unterstämme der Lakota. Im Sommer 1850 strömten Tausende von Auswanderern „wie in einer Springflut das Tal des Platte und Sweetwater hinauf“, angelockt von Erzählungen über ein Land (Kalifornien), wo es nicht schneite und keine Krankheiten gab, und von der „unerschöpflichen schwarzen Erde Oregons“. Der große Zustrom von Auswanderern verscheuchte oder vernichtete nicht nur das Großwild in den Durchzugsgebieten, sondern verbreitete auch Krankheiten, denen die Indianer nur wenig oder gar keine Widerstandskraft entgegenzusetzen hatten. Im Zeitraum von wenigen Jahren sah sich die Welt der Plains-Indianer in jäher und erschreckender Weise der schwersten Bedrängnis ausgesetzt, selbst der, wie es schien, in unbegrenzter Zahl vorhandene Bison der Großen Plains war mit einem Mal weniger zahlreich, und gebietsweise blieben die Tiere sogar auf ihren Wanderrouten aus. Der Alkohol raubte all denen die Lebenskraft, die von den Niederlassungen und Überlandrouten angezogen wurden. Fortwährend verschoben sich Stammesterritorien, wenn von ihrem Land vertriebene oder verdrängte Gruppen ihrerseits Druck auf andere ausübten. Die Situation geriet immer schneller außer Kontrolle. Der Schutz der Emigranten einerseits und der indigenen Bevölkerung andererseits wurde nunmehr zu einem Hauptanliegen der Regierung, und um eine potentiell explosive Lage in den Griff zu bekommen, wurden dringliche Maßnahmen in Erwägung gezogen: das Ergebnis waren Vertragsabschlüsse und militärische Aktionen.

Der sich lange hinziehende Krieg mit den Plains-Indianern begann mit dem Tod einer Kuh, so dünn und abgemagert, daß sie von ihrem Besitzer, einem mormonischen Auswanderer, zurückgelassen worden war. Weil er sich etwas Rohleder erhoffte und obendrein vielleicht eine (eher fragwürdige) Mahlzeit für sich herausspringen sah, erschoß High Forehead, ein Miniconjou Sioux, der zu Besuch in Conquering Bears Lager war, das Tier am Nachmittag des 18. August 1854. Die Geschichte endete im sogenannten „Grattan-Massaker“; der Beginn heftiger und oft brutaler Kämpfe, die erst nahezu vierzig Jahre später, im Dezember 1890, mit der Massakrierung von Big Foots Miniconjou an einem kleinen Bach in South Dakota, den die Welt heute als Wounded Knee kennt, ihr endgültiges und tragisches Ende finden sollten.